Montag, 8. August 2011

Das ägyptische Totenbuch - das "negative Glaubensbekenntnis"

Spruch 125 - der Abstieg des toten Königs in die Unterwelt und sein Erscheinen vor den 42 Totenrichtern.


Das ägyptische Totenbuch gehört zur Gattung der Totentexte. Es ist eine Sammlung von Zaubersprüchen und Beschwörungen, die dem Verstorbenen im Jenseits ein sorgenfreies und unbeschwertes Leben ermöglichen sollen.

Das „negative Glaubensbekenntnis“

In Spruch 125 soll der Tote vor Osiris und 42 Richtern seine Rechtschaffenheit und Reinheit bekunden. Man unterteilt den Spruch in die Einführung, den mittleren Teil – das sog. „negative Glaubensbekenntnis“ - und den Schlussteil.

Im „negativen Glaubensbekenntnis“ steht der Dahingeschiedene in der Halle der Wahrheit oder „der doppelten Maat“ - gemeint sind die Göttinnen Isis und ihre Schwester Nephthys - und muss vor 42 strengen Totenrichtern erklären, welche Schlechtigkeiten und Verbrechen er NICHT begangen hat. Dabei liegt sein entnommenes Herz zwecks Wahrheitsfindung auf einer Waage.

Anubis und das Monster

Der Totengott Anubis prüft auf dieser Waage die Richtigkeit seiner Aussagen und im Hintergrund hält sich „die große Fresserin“ Ammet, ein bizarres Monster, bereit, den Prüfling zu verschlingen, sollte man ihn bei einer Lüge ertappen.

Die dabei zur Sprache kommenden eventuellen Verfehlungen reichen von charakterlichen Unzulänglichkeiten über Eigentumsdelikte bis hin zu Kapitalverbrechen und allgemeinem Fehlverhalten gegenüber Göttern und Menschen.

Sprache und Schrift

Die verwendete Sprache ist Mittelägyptisch. Die Texte auf Papyrus und Leinen sind in Totenbuchhieroglyphen oder Kursivhieroglyphen abgefasst. Ab der 21. Dynastie sind Papyri in hieratischer Schrift weiter verbreitet.

Der Text war üblicherweise mit schwarzer Tinte geschrieben. Der Titel des Spruchs und besonders wichtige Stellen konnten aber auch in rot gehalten sein. In seltenen Fällen wurde statt roter gelbe Tinte verwendet. Manchmal wurde ein Papyrus auch gemischt mit hieroglyphischen und hieratischen Schriftzeichen geschrieben. In der griech.--röm. Epoche gab es auch Exemplare in demotisch.

Textstelle (Papyrus Nu)

„Nicht habe ich bewirkt das Leiden der Menschen,

Noch meinen Verwandten Zwang und Gewalt angetan.

Nicht habe ich das Unrecht an die Stelle des Rechtes gesetzt,

Noch Verkehr gepflegt mit den Bösen.

Ich habe kein Verbrechen begangen,

Ließ nicht die anderen sich abmühen über Gebühr,

Meine Diener habe ich nicht misshandelt.

Die Götter habe ich nicht gelästert.

Dem Bedürftigen habe ich nicht die Nahrung entzogen.

Die von den Göttern verabscheuten Handlungen sind mir fremd.

Ich habe nie zugelassen, dass ein Diener

Von seinem Meister misshandelt würde.

Nie hab ich ein Leiden veranlasst.

Die Hungersnot habe ich nie verursacht.

Meine Mitmenschen ließ ich nicht Tränen vergießen.

Ich habe nicht getötet, noch einen Mord angestiftet.

Ich hab keine Krankheit unter den Menschen verbreite.

Die Opfergaben in den Tempeln habe ich nicht gestohlen.“

Magische Ergänzungshandlungen?

Es scheint, als hätte es neben den Texten des Totenbuches noch ergänzende Handlungen und Rituale geben müssen. Die Vorstellung, durch ledigliches Erwerben einer Schriftrolle und die Beigabe derselben ins Grab sich von Schuld befreien zu können, ist, angewendet auf ein durch und durch religiöses Volk, in höchstem Maße befremdlich.

Es fällt schwer zu glauben, dass ein gebildeter Ägypter der damaligen Zeit wirklich davon überzeugt war, in einer solchen Situation, sein auf der Waage liegendes Herz entblößt und in einer Halle voller Götter stehend, sämtliche Anwesenden durch das einfache Aufsagen von Unwahrheiten quasi „an der Nase herumführen“ zu können und ungerechtfertigt zum Ziel zu gelangen.

Eine derartige Unverfrorenheit wäre wohl einem König anzudenken und verzeihbar, betrachtet man die exklusive soziale und religiöse Stellung desselben, doch einem in der Hierarchie viel weiter unten beheimateten Beamten wäre dieses Verhalten sicherlich nicht anzuraten.

Es finden sich wohl Vergleiche in unserer eigenen jüngeren Geschichte für ein solches Gehabe, zieht man z. B. das den Augustinermönch Martin Luther irritierende System der bezahlten Sündenablässe in Betracht, doch bleibt anzumerken, dass unsere Gesellschaft zu dieser Zeit nicht als allzu religiös im spirituellen Sinne gegolten hat.

Man kann unter diesen Umständen möglicherweise mutmaßen, dass der schriftlich ausgefertigte Teil des Spruches vielleicht nur der sozusagen „materielle Abschluss“ eines vorher im Tempel zelebrierten Rituals gewesen sein könnte.

Quellen:

E. A. WALLIS BUDGE, The Book of the Dead, Routledge & Kegan Paul Ltd. London 1960.

RAYMOND O. FAULKNER, The Ancient Egyptian Book of the Dead, British Museum Publications 1985.

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